„O Herr! Zieh Du das Volk aus dem abgründigen Meer des Hasses und der Feindseligkeit, befreie es aus dieser undurchdringlichen Finsternis. Vereinige die Herzen, erleuchte die Augen mit dem Lichte des Friedens und der Versöhnung.“
 
Diese starken Worte aus einem Gebet von ‘Abdu’l-Bahá, dem Sohn des Begründers der Bahai-Religion erklangen beim kurzfristig von der Interreligiösen Dialoggruppe Favoriten organisierten Friedensgebet in der ältesten Kirche des Bezirks, der Kirche des Hl. Johannes des Evangelisten am Keplerplatz. Anlass war der Krieg in der Ukraine und das daraus resultierende bittere Leid der Zivilbevölkerung dieses Landes. Das etwa 45-minütige Gebet wurde von Vertretern dreier Religionsgemeinschaften geleitet: Muslime, Christen und Bahai.
 
Der Theologe Ibrahim Olgun von der ATIB-Moschee rief den Anwesenden die unantastbare Würde jedes Menschen mit einem Zitat des Propheten Muhammed in Erinnerung: „O ihr Menschen, wahrlich, euer Blut, euer Leben, euer Eigentum, eure Würde und eure Ehre sind heilig und unantastbar, bis ihr eurem Herrn gegenübersteht.“
Mit einem Zitat aus dem Neuen Testament, dem Römerbrief, ermutigte der evangelische Pfarrer der Kirche am Matzleinsdorfer Platz, Dr. Michael Wolf, die buntgemischte Gemeinde zur tätigen Nächstenliebe: „Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen; gewährt jederzeit Gastfreundschaft!“
Seinen Aufruf nahmen sich die Leute zu Herzen und spendeten spontan Euro 614,50 am Ende der Feier. Der Betrag wurde der ukrainischen Gemeinde in Wien St. Barbara überwiesen.
 
Schließlich wurden konkrete Bitten ausgesprochen, die, wie Johannes Wittich, der Pfarrer der reformierten Gemeinde am Wielandplatz einführte, von orthodoxen Christen der Ukraine gemeinsam mit reformierten russischen Christen formuliert worden waren. „Wir beten nicht nur für die Menschen in der Ukraine und Russland, sondern mit ihnen, wenn wir jetzt ihre eigenen Worte aussprechen“, so Pfarrer Wittich.
Begleitet wurden die einzelnen Gebetsteile der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften von den Klängen einer Bratsche. Hanan, eine gebürtige Syrerin, sang das „Vater unser Gebet“ in der Muttersprache Jesu, Aramäisch.
Am Ende des Gebetstreffens zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit brennenden Kerzen vor die Kirche und stellten sie auf den Stufen ab. Auch Bezirksvorsteher Marcus Franz und Daniel Soudek, Referent im Kultusamt des Bundeskanzleramtes und Bezirksrat in Favoriten zündeten, wie die meisten der 90 Anwesenden, Kerzen an.
Still brennend beteten ihre Flammen das Friedensgebet weiter, hinein in die hereinfallende Nacht …
 
Matthias Felber